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Tomaten

Tomaten – Die himmlischen fünf Prozent

 

Sie ist rot, rund – und scheinbar simpel. Doch wer glaubt, die Tomate sei nur ein wasserreicher Alltagsgast auf dem Teller, irrt gewaltig. Denn in ihren letzten fünf Prozent steckt ein kulinarisches Universum: Geschmack, Duft, Umami. Und genau diese fünf Prozent machen den Unterschied zwischen Supermarktware und aromatischer Offenbarung. Was passiert, wenn man Tomaten nicht ausgeizt, nicht hochbindet und einfach der Natur vertraut? Eine Reise zu den Wurzeln der Frucht, zu den Menschen, die sie neu denken – und zu einem Gemüse, das mehr Charakter hat, als man ihm zutraut.

Wie hole ich das Beste aus der Tomate?

Fragt man erfahrene Tomatenproduzent:innen, fällt die Antwort überraschend knapp aus: „Man kann entweder giessen – oder ernten.“ Ein Traum für Teilzeitgärtner:innen, könnte man meinen. Denn die Tipps gehen so weiter: „Nicht ausgeizen, nicht hochbinden.“ Worte von Erich Stekovics, dem „Paradeiserkaiser“ Österreichs – und wenn einer etwas von Tomaten versteht, dann er.

Natürlich gilt das nur für Sträucher mit tiefen Wurzeln, die ihren Wasserhaushalt selbst regulieren können. Dennoch bleibt es eine kühne Ansage für eine Frucht, die zu 95 Prozent aus Wasser besteht. Umso wichtiger wird der Rest: jene fünf Prozent, die Geschmack, Duft und Umami-Power ausmachen. Wer Tomaten entkernt, entfernt nämlich genau das Beste – die gallertartige Masse mit ihrem hohen Anteil an Glutaminsäure.

Bild: Foto von Laura España auf Unsplash

Tomaten sind alte Bekannte mit langer Biografie. Vor rund 8’000 Jahren begannen Menschen in Ecuador und Peru, Wildtomaten zu grösseren Früchten zu selektieren. Über Mittelamerika und Mexiko verbreitete sich die Pflanze – dort wachsen urtümliche, beerenkleine Formen noch heute auf Maya-Feldern. Im 16. Jahrhundert erreichte sie Europa, zunächst als exotische Zierpflanze. 1544 empfahl Pietro Andrea Mattioli, Tomaten in Öl zu braten und zu salzen. 1692 tauchte bei Antonio Latini das erste schriftliche Rezept für eine Tomatensauce auf – doch Pasta mit Tomatensauce fand man erst 1839 in einem Kochbuch. Frankreichs Jahrhundertkoch Auguste Escoffier erhob die Tomatensauce 1903 schliesslich in den Adelsstand: als eine der fünf Muttersaucen der französischen Küche.

Dass die Industrie der Tomate später den Geschmack austrieb, ist ein anderes Kapitel. Die praktische U‑Mutation sorgte zwar für gleichmässiges Rot, einheitliche Reife und kleine Strünke – hemmte aber die Zucker- und Geschmacksbildung. Eine Gegenbewegung kommt aus Samenhäusern und Stiftungen: Pro Specie Rara weist derzeit 178 Sorten in ihrem Sortenfinder aus, bringt vergessene Typen wie die möglicherweise schweizerische „Amish Pasta“ zurück in die Beete; in Österreich kämpfen Arche Noah, Händler und Köche gemeinsam für Vielfalt, andere Alpenländer tun es Ihnen gleich.

Bild: Foto von Rezel Apacionado auf Unsplash

Besondere Tomatenproduzent:innen

Die kulinarische Perspektive bestätigt vieles, was bereits auf dem Feld beginnt. Interessant ist zum Beispiel, dass die Tomate sowohl auf dem Teller als auch im Boden mit Basilikum harmoniert, worauf uns Anita zRotz, Lieferantin des CULINARIUM ALPINUM Restaurants, hinwies. Auch die Frische punktet: Flüchtige Duftstoffe verfliegen schon nach Minuten – Spitzenköche wie Andreas Caminada bauen deshalb Tomaten sogar selbst an, um auch noch die letzten Prozente auf dem Weg zur Perfektion herauszuholen. Rot ist übrigens nicht automatisch gut: die Siegerin vieler Verkostungen heisst „Schwarze Ananas“, ist rot‑grün gestreift und saftig‑süss.

Bild: Foto von Dan Gold auf Unsplash

Nicht alles an der Pflanze ist harmlos: Blätter und Stängel enthalten Solanin; der Strunk gilt wegen geringer Konzentration bei üblichen Mengen als unbedenklich – aber bitte nicht in Massen verzehren. Kulinarisch bleibt die Regel einfach: Kerne drinlassen – Aroma drinlassen. Während die Feinschmecker neue Sorten feiern und Alte wiederentdecken, regiert anderswo Ketchup: Seit Heinz 1876 den Klassiker lancierte, wuchs der Markt zum Milliardengeschäft. Kinder unter 13 essen deutlich mehr davon als Erwachsene; beim Verzehr von Bio‑Ketchup liegt die Schweiz vorn. Wer von den industriell hergestellten Ketchups genug hat, findet weiter unten ein tolles Rezept für eine hausgemachte Variante.

Tomaten schreiben auch Superlative: Ein 4.9-Kilo-Riese in den USA, 1’269 Cherrytomaten an einer einzigen Rispe, in Leiden steht mit Jahrgang 1540 die wohl älteste Tomatenpflanze in Europa – und in der Schweiz hält Jürg Wiesli mit 3.3 Kilo den Rekord. Apropos Schweiz: nicht ganz die Hälfte der konsumierten Tomaten stammt aus der Inlandproduktion.

Einen «Rekord» der anderen Art hält Christian Bassi, ein Gemüsebauer aus dem Tessin, wofür er im Jahr 2024 mit dem Agropreis ausgezeichnet wurde. In einem High-Tech Gewächshaus nahe Bellinzona gedeihen auf ca. 5’000m2 auch in den Wintermonaten Schweizer Tomaten. Was in einer ersten Reaktion die Stirne runzeln lässt, wird auf den zweiten Blick nachhaltig: Die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach betreibt die LED-Beleuchtung, die Wärme für eine CO2-neutrale Heizung wird von der nahen Kerichtverbrennungsanlage Giubiasco bezogen und Wasser gibt’s hier sicherlich mehr als in anderen klassischen Anbaugebieten wie Spanien. Dass Schädlinge mit Nützlingen anstatt Chemie bekämpft wird ist dann nur eine logische Folge aus der konsequenten Haltung der Orticolo Bassi.

Im Gewächshaus von Bassi reifen die Tomaten unter Idealbedingungen.
Bild: www.orticolabassi.ch

Am Ende dieser Reportage bleibt eine einfache Handlungsanweisung für Küche und Garten: Sortenvielfalt wählen. Reif ernten. Kerne ehren. Dann offenbaren sich jene himmlischen fünf Prozent – und die Tomate wird wieder, was sie sein kann: Everybody’s Darling mit Charakter.

Zum Nachmachen

 

Zutaten

1 kg grüne, unreife Tomaten
2 grosse Zwiebeln
2 Äpfel (säuerlich, z. B. Boskop)
2 Knoblauchzehen
200 g brauner Zucker
250 ml Apfelessig
1 TL Senfkörner
1 TL schwarzer Pfeffer
1 TL Salz
1 TL Ingwer (gerieben/getrocknet)
1 TL Currypulver oder Garam Masala
1 kleine Chilischote (optional)
1 Lorbeerblatt

Ketchup aus grünen Tomaten

ca. 2 Stunden | einfach | Für 1 kg Tomaten

Vorbereiten: Tomaten waschen und in kleine Stücke schneiden. Zwiebeln, Äpfel und Knoblauch ebenfalls würfeln.

Einkochen lassen: Alles zusammen in einen grossen Topf geben. Zucker, Essig und Gewürze zufügen und kurz ankochen lassen. Anschliessend bei mittlerer Hitze unter gelegentlichem Rühren etwa 1–1,5 Stunden köcheln lassen, bis die Masse dicklich wird.

Pürieren: Mit dem Stabmixer fein pürieren und ggf. durch ein Sieb streichen. Für Chutney kann dieser Schritt weggelassen werden.

Abschmecken: Falls nötig, mit etwas mehr Salz, Essig oder Zucker balancieren.

Abfüllen: Noch heiss in sterilisierte Gläser oder Flaschen füllen, sofort verschliessen.

Haltbarkeit: Kühl und dunkel gelagert: mindestens 6 Monate. Nach dem Öffnen im Kühlschrank aufbewahren und innerhalb von 2–3 Wochen verbrauchen.

Bild: Foto von Dennis Klein auf Unsplash

Autor: Stefan Röösli 

Titelbild: Foto von Empreinte auf Unsplash