Kastanie
Kastanie: Königin des Herbstes
Der süsslich-nussige Geruch nach Geröstetem begrüsst uns häufig, bevor wir einen Stand erblicken: Heissi Marroni. Sie begleiten uns, spenden uns warme Finger und eine wohlige Wärme im Bauch, während der Herbst Einzug hält. Doch wie kam die Kastanie in die Schweiz und an den Vierwaldstättersee und was macht sie so populär, dass ihr eine ganze «Chilbi» gewidmet wird?

Foto: Peter Oslanec, Unsplash
Kastanie, Esskastanie, Marroni:
Die Bezeichnung «Esskastanie» ist ein Überbegriff. Marroni sind eine veredelte, süssere Gattung von Esskastanien. Diese sollte nicht mit Rosskastanien verwechselt werden, da sie ungeniessbar sind. Der folgende Text bezieht sich ausschliesslich auf Esskastanien und Marroni.
Keine neue Erscheinung
Die Esskastanie stammt ursprünglich aus Kleinasien (heute Türkei, Griechenland). Archäobotanische Funde zeigen, dass bereits um 2000 v. Chr. dort Kastanien gesammelt und gegessen wurden. Kultiviert wurde die Kastanie dann ab ca. 800 v. Chr. von den Griechen. Von ihnen haben sie auch ihren Namen, sie nannten sie «Kástanon», nach der Stadt Kastana in Thessalien. Die Römer brachten die Kastanien dann in ihr gesamtes Imperium. Sie nutzten die Kastanie als Grundnahrungsmittel in gebirgigen Gegenden, wo Getreide schwer kultiviert werden konnte.
Alle Wege führen ins Tessin
In Frankreich, Spanien, Italien und der Südschweiz entstanden grossflächige Kastanienhaine, oftmals in Terrassenform, welche Selven genannt werden. Im Tessin konnte aufgrund der steilen und kargen Lage Weizen oder Roggen schwer angebaut werden. Die Esskastanie hingegen konnte in den unteren und mittleren Hanglagen bis ca. 900 m. ü. M. wunderbar gedeihen und galt zwischen 1100 und 1850 als Hauptnahrungsmittel der Landbevölkerung.

Aus dem Tacunum sanitatis aus dem Mittelalter geht hervor, dass Kastanien bei Schwäche der Nerven helfen, sie besonders heilsam seien wenn sie geröstet gegessen werde und es sei nützlich, wenn man sie morgens mit Wein konsumiere. Zum Wohl!
(Bild-Quelle: Wikipedia)
Verdrängt von Mais und Kartoffeln
Nach Mitte der 1850-er Jahre erlitt die Kastanienkultur einen Rückgang. Dies aufgrund neuer Feldfrüchte, die ihren Ursprung über dem Atlantik haben. Mais und Kartoffeln lösten die Kastanie als Hauptnahrungsmittel ab. Aber auch die Abwanderung der Ticinesi in die Städte und ins Ausland liess viele Kastanienhaine im Tessin verwildern oder ganz verschwinden.
Altes Kulturgut anerkennen
Erst in den 1980-er Jahren erlebte die Kastanie im Tessin eine Renaissance als Kulturgut und Delikatesse. Alte Sorten werden erhalten, die Haine werden als Kulturlandschaft gepflegt und Feste sowie Produkte werden gefeiert. So zum Bespiel die Festa delle Castagna in Ascona, Moghegno und Arosio.

Kastanien werden geschüttelt, gerührt und geröstet, hier an der Festa delle Castagne in Ascona.
(Bild-Quelle: carcani.ch)

Die Kastanien am Vierwaldstättersee
Aber nicht nur im Tessin wird die Kastanie gepflegt, gehegt und gefeiert, sondern auch in der Zentralschweiz. An einigen Ufern des Vierwaldstättersees herrscht mildes, eher mediterranes Klima, das die Kastanien lieben. Vor rund 15 Jahren wurden vierzehn Kastanienhaine in der Zentralschweiz restauriert oder neu begründet. So auch in Kehrsiten NW auf dem Biohof Hobiel. Dieser beliefert die Küche des Culinarium Alpinum mit Kastanien aus dem gleichen Kanton – vom Hof auf dem Teller.

Dem Nordhang und dem basischen Bürgenstock-Kalk trotzt die Kastanie dank dem milden Seeklima. (Bild-Quelle: Kastanie.net)
Verehrt wird die Kastanie auch in Greppen (Kanton Luzern). Bereits Dorf einwärts begrüsst uns die bunte Ortstafel: «Kastaniendorf Greppen» mit grossen Kastanien im Vordergrund und dem Pilatus im Hintergrund.
In Greppen gibt es kastanientechnisch einiges zu erleben: Der Kastanienrundweg führt durch alte Kastanienwälder, unterwegs bieten Informationstafeln Hintergrundwissen über die Edelkastanie und deren Nutzung und Bedeutung. Die Strecke variiert zwischen eineinhalb und zweieinhalb Kilometern.
Der Rigi-Chestene-Weg hingegen ist eine Mehrtagestour, welche in verschiedenen Etappen über Greppen, Weggis, Vitznau und Gersau bis nach Brunnen führt. Auch hier informiert der Weg über das Vorkommen der Edelkastanie auf der Südseite am Fusse der Rigi.
Eine «Chilbi» nur für die Kastanie
Wer lieber schlendert und schlemmt, sollte die Chestene-Chilbi in Greppen besuchen. Diese findet jedes Jahr am vierten Sonntag im Oktober statt. Über 60 Stände, rund um lokales und besonders um die Kastanie, laden zum Verweilen und Einkaufen ein. Klassisches wie Mehl aus Kastanien, Flocken, aber auch Pasta (passt gut zu Blauschimmel-Käsesauce) und Brot sowie Käse in vielerlei Ausführung mit Kastanien.
Auch direkt zum Schlemmen «von der Hand in den Mund» lässt das Angebot an nichts zu wünschen übrig: Seien es die klassischen «Heissi Marroni», bis zur Panettone mit Marroni-Stücken, süssem Likör aus «Crema al Miele di Castagne», Bündner Marroni-Torte (Wie Nusstorte nur mit Marroni anstatt Baumnüssen), oder üppige Marroni-Tartelettes und Berliner mit Vermicelles-Füllung. Natürlich gibt’s Vermicelles auch ganz klassisch mit «Niidle und Meringue». Soulfood pur! Besonders auffällig ist der Stand mit «Marroni-Matcha-Latte» und «Marroni-Chai-Latte»: Die Kastanie findet sich also wunderbar mit den Food-Trends aus dem 21. Jahrhundert kombiniert.
Erfolgreich, stylish und lokal
In der Zürcher Gastroszene hat die Vermicelleria besonders zur Popularität des Desserts beigetragen. Ein Kollektiv an jungen Vermicelles-Liebhabenden sammelt seit einigen Jahren in den Tessiner Südtälern Kastanien und bringt sie nach Zürich. Dort werden sie in handgemachter Keramik angerichtet und mit Meringues, Glace, Rahm und der obligaten Kirsche ausgeschmückt. Dass sich die Gründer:innen während des Design-Studiums kennenglernt haben, verrät der Look der Website, aber auch an der konzeptionierten Aufmachung von Bekleidung der Mitwirkenden bis hin zu Souvenir-Postern. Durch und durch eine erfrischende Erscheinung und ein absolutes Paradebeispiel für die Regionalkulinarik!
Rares wunderbares: Geöffnet hat die Vermicelleria nur für wenige Wochen im November, dafür jeweils täglich bis spät abends.

Es wird berichtet über die Vermicelleria. Auch Food-Blogger Pascal Grob besuchte die Vermicelleria für Gaultmillau.ch und schoss dieses glustig-machende Bild.
(Bild-Quelle: gaultmillau.ch)
Die besondere Nuss
Esskastanien sind eine einzigartige Gattung der Nüsse. Sie enthalten weniger Fett und mehr Stärke und sind ernährungstechnisch den Getreiden ähnlicher als andere Nüsse. Sie enthalten komplexe Kohlenhydrate, die langsam freisetzende Energie enthalten, ähnlich wie Vollkornprodukte, und unterstützen Ausdauer und Konzentration. Zusätzlich sind sie magenfreundlich und von Natur aus glutenfrei.
100 g Esskastanien enthalten roh: Ca. 180 kcal, ca. 40 g Kohlenhydrate (davon 8 g. Zucker), ca. 2 g Eiweiss, 2 g Fett und bestehen zur Hälfte aus Wasser.
Bei Produkten aus Kastanien lohnt es sich auf die Herkunft der Kastanien zu achten. Häufig stammen diese aus dem Ausland. Jährlich werden ca. 4’000 Tonnen Esskastanien in die Schweiz eingeführt. Zwei Drittel davon werden an Ständen direkt geröstet und verkauft. Der Rest wird zu Marrons Glacées, Vermicelles und Konfitüren weiterverarbeitet. Wir empfehlen nicht nur saisonal, sondern auch regional zu konsumieren.
Die kulinarischen Freunde der Esskastanie
Esskastanien sind mit ihrem milden, leicht süsslichen, nussigen Geschmack wahnsinnig vielseitig. Sie eignen sich besonders für herzhafte oder süsse Gerichte.
Gemüse, dass sich gerne mit der Kastanie kombinieren lässt, sind unter Anderem Kürbisse, Pilze, Rosenkohl, Wirz, Lauch oder Zwiebeln. Für Suppen und Pürees lassen sich Sellerie, Rüebli und Pastinaken gerne kombinieren.
Für Karnivore vermutlich nichts neues: der Klassiker Wild, Reh und Hirsch. Aber auch Gans, Huhn und Speck passen wunderbar zu Esskastanien.
Alp Sbrinz, Blauschimmel- und Ziegenkäse bieten einen salzig-würzigen Kontrast und Rahm, Mascarpone und Butter runden den Esskastanien-Geschmack cremig ab.
Auch für Desserts abseits von Vermicelles lassen sich Esskastanien gerne mit Birnen, Äpfel, Kirschen oder Feigen kombinieren. Dazu passen auch Vanille, Nelken aber auch Schokolade.
So wie bei vielen Nüssen erhält auch die Kastanie eine Geschmacksintensivierung durchs Rösten.
Zum Nachmachen

Marroni-Gnocchi «fatto in Casa»
Rezept von Chefkoch David Zurfluh
ca. 1h 10 | mittel | Für 4 Personen
Die Kartoffeln schälen und im Salzwasser kochen, bis sie weich sind.
Diese anschliessend abtropfen und gut ausdampfen lassen, damit die Restfeuchtigkeit verdampft. Die geschälten Marroni weichkochen und ebenfalls abtropfen lassen. Diese klein hacken oder im Mixer grob mixen.
Die Kartoffeln durch ein Passe-Vite in eine grosse Schüssel geben. Kastanien, Mehl, Eigelb und Alp Sbrinz beigeben. Mit Salz, Pfeffer und Muskat würzen.
Den Teig gut von Hand verkneten. Sollte eine Maschine verwendet werden, besteht die Gefahr, dass der Teig klebrig wird. Falls der Teig zu feucht ist: etwas Mehl hinzufügen.
Teig mit etwas Mehl in Würste rollen und die Gnocchi formen.
Anschliessend im Salzwasser zirka fünf Minuten kochen, bis sie oben aufschwimmen. Kurz weiterkochen und mit einer Schaumkelle abschöpfen. In Butter schwenken und anrichten.
Passt gut zu Alpsbrinzcrème.
Weiterführende Links:
Tipps zum Anbau, Pflege und Nutzung der Edelkastanie, Herausgeberin der «Chestene-Zytig», Veranstalterin der «Chestene Chilbi», Infos «Rigi-Chestene-Weg»: IG Pro Kastanie Zentralschweiz
Informationen und Listen zu Kastanienevents in der Schweiz und in ganz Europa: Kastanienland
Kastanien-Wander-Wege im Südkanton der Schweiz: Ticino
Für handfeste Inhalte:
«Kastanien» von Erica Bänziger, Fredy Buri, Marco Conedera, Carlo Scheggia
Kochbuch, ideal um die Kastanie mit einfachen Rezepten in die eigene Küche zu bringen. Basisch, glutenfrei und nahrhaft:
«Kastanie: Die ungekrönte Königin der Küche» von Rainer Schillings, Ansgar Pudenz und Claude Brioude.
Gourmet-Artbook mit Rezepten von Chefkoch Claude Brioude, mit Skizzen und Hintergrundwissen. Geeignet für Tüftler und Nerds.
Autorin: Meret Wettstein
Titelbild: Foto von Veronika Galkina, Unsplash